Die Herausforderungen für Altenheime und andere Pflegeeinrichtungen bezüglich einer effizienten und rechtsstabilen Pflegedokumentation sowie einer optimalen Pflegeplanung sind hoch. Welche Fallstricke gibt es dabei zu beachten? Welche Lösungsansätze zeigen sich? Wer sind die Adressaten, wer die Nutznießer? All diese Fragen beantwortet Experte Michael Hartmann (31) im Interview mit der Redaktion. Hartmann ist Junior Consultant bei QM BÖRCHERS CONSULTING +, einer auf Qualitätsmanagement, Risikomanagement und prozessgesteuerter Reorganisation im Gesundheitswesen spezialisierten Unternehmensberatung. Er hat zehn Jahre klinische Erfahrung in verschiedenen Bereichen eines Akut-Krankenhauses, vorwiegend in leitender Position. Der leidenschaftliche Handballfan und Hobbysportredakteur ist ausgebildeter Gesundheits- und Krankenpfleger, hat nebenberuflich ein Fernstudium ‚Pflegemanagement‘ absolviert und war Pflegedienstleitung in der stationären Altenhilfe mit den Schwerpunkten Mitarbeiterentwicklung und Qualitätssicherung.
[callout]Hinweis: Das Interview kann von Medien frei verwendet werden – gerne auch auszugsweise. Selbstverständlich steht Michael Hartmann auch für weitere Fragen bereit oder kann für einen thematisch passenden Fachbericht zu Rate gezogen werden. Bei Verwendung bitten wir lediglich um die Zusendung eines Beleg bzw. Links.[/callout]
Interview mit Michael Hartmann
Red.: Was bedeutet eine effiziente Pflegeplanung und eine entsprechende Dokumentation für das moderne Altenheim/ den heutigen Pflegebetrieb?
M.H.: Ein moderner Pflegebetrieb sieht sich einer Menge von Herausforderungen gegenüber. Im Vordergrund steht hierbei die optimale und individuelle Versorgung der zu Pflegenden. Es sind verschiedene Rahmenbedingungen wie gesetzliche Vorgaben, einrichtungsinterne Standards, die Weiterentwicklung und die Aufrechterhaltung des Qualitätsmanagementsystems sowie vergütungsrelevante Aspekte zu berücksichtigen. Eine Schnittstelle zu diesen Bereichen bildet nach wie vor die Dokumentation der Leistungserbringer. Im Klartext: Die Pflegedokumentation und die damit verbundenen Anforderungen stellen eine große Herausforderung bezüglich der erbrachten Leistungen sowie die Transparenz des Pflegeprozesses dar. Bei der Nachweispflicht gilt der Grundsatz: Nicht dokumentiert = keine erbrachte Leistung!
Red.: Welche Daten müssen dafür beispielsweise von der Pflegedienstleitung (PDL) als a) Grunddaten, b) pflegerelevante Daten, c) biographische Daten erhoben werden?
M.H.: Je nach Dokumentationssystem der entsprechenden Einrichtung sollte sich die Menge an erhobenen Daten mindestens auf die Bereiche der bewohnerbezogenen Informationen beziehen, etwa wie Stammdaten, Biografieerhebungen und medizinische Daten. Zur Gestaltung der Pflegeplanung wird eine Pflegeanamnese erstellt, damit der Pflegeprozess optimal geplant werden kann. Bei der Sammlung der relevanten Daten sind sicherlich eine Vielzahl von externen Berichten zu berücksichtigen und auszuwerten: Arztbriefe, persönliche Dokumente und bestehende Pflegebeschreibungen. Um hierbei schon mögliche Fehlerquellen ausschließen zu können und den individuellen Charakter der zu planenden Pflegequalität sicherzustellen, sollten diese Daten zusammen mit der zu pflegenden Person bzw. dessen Angehörigen erhoben werden.
Als letzter Teil einer ordentlichen Pflegedokumentation ist der Pflegebericht zu nennen. Hier werden tagesaktuelle Informationen in Form eines Tagebuches von den Pflegenden eingetragen und als Medium zur Nachweisdokumentation z. B. auch für interne Übergaben genutzt. Gerade diese ‚einfachen Einträge‘ weisen teils große Qualitätsschwankungen auf und bedürfen einem besonderen Augenmerk.
Über diese von mir definierten Mindestanforderungen für Planungs- und Pflegedokumentation, gibt es noch eine Reihe anderer, oft intern gestalteter Zusatzerhebungen und -dokumentationen. Dieser Bereich führt meiner Meinung nach aber häufig zu unnötiger Doppeldokumentation und verschwendet wertvolle (Zeit-)Ressourcen.
Red.: Wie oft sollte die vorgeschaltete Informationssammlung überprüft und ggf. angepasst werden?
M.H.: Hierbei gibt es zwei Varianten:
Zum einen aus anlassbezogener Sicht, z.B. wenn sich der Pflegestatus eines Bewohners verändert. Wenn dieser also mehr oder weniger(!) pflegerische Unterstützung benötigt, müssen die entsprechenden Planungsinstrumente dem Bedarf angepasst werden. Im Alltag ist dieser Veränderungsprozess oft nicht eindeutig identifizierbar und die verschiedenen Pflegestadien gehen fließend ineinander über. Bei einer akuten medizinischen Veränderung, etwa bei einem Schlaganfall, ist die Veränderung offensichtlich und es kann dementsprechend die Pflegeplanung angepasst werden. Bei einer schleichenden Veränderung der Pflegebedürftigkeit empfiehlt es sich feste Zeitabschnitte zur Evaluation der Pflegeplanung einzubauen. Bewährt hat sich hier eine Überprüfung im 3-Monatsturnus. Generell gilt: Lieber einmal mehr die Pflegeplanung an aktuelle Gegebenheiten anpassen, als große Überprüfungsintervalle zu setzen und dann häufig die gesamte Pflegeplanung grundlegend neu verfassen zu müssen. Kürzere Intervalle führen dazu, dass die Arbeit schnell und effizient zu erledigen ist.
Red.: Wie können die PDL und das gesamte Pflegeteam der Angst der Kunden bzw. deren Angehörigen vor Datenmissbrauch und Datensammelwut begegnen?
M.H.: Wichtig ist volle Transparenz. Bei Neubeginn einer Pflegesituation sollte den Kunden bzw. Angehörigen erklärt werden, was mit ihren Daten und Unterlagen zu welchem Zeitpunkt passiert und wer die Daten einsehen darf. Ein Konzept zum Datenschutz, individualisiert auf die jeweilige Einrichtung, sollte Grundlage dieses Gesprächs sein. Es sollte aber auch rein praktisch, z.B. in Form einer Begehung erläutert werden. Dort erfährt der Kunde dann, wo sich die entsprechenden Unterlagen befinden, wie diese gesichert sind und wer welchen Zugang dazu hat. Die Einhaltung dieser Regelungen sollte jede Einrichtung intern überprüfen, z.B. durch eine Datenschutzkommission.
Im Anschluss an das Gespräch und die Führung lässt sich die Pflegeeinrichtung die Kenntnisnahme der entsprechenden Datenschutzbestimmungen schriftlich von den Kunden und/ oder Angehörigen bestätigen. Wichtig zu erwähnen wäre hierbei noch, dass letzteren Personen die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, jederzeit die Aufrechterhaltung der Datenschutzbestimmungen zu überprüfen.
Red.: Welche haftungsrelevanten Aspekte sind bei der Erstellung der Pflegedokumentation zu beachten?
M.H.: Generell gilt: Nicht dokumentiert = Leistung nicht erbracht! Beispiel: Bei einem Bewohner der stationären Pflege hat sich ein Druckgeschwür (Dekubitus) entwickelt. Da der Bewohner bei der Pflegeanamnese als gefährdet eingestuft wurde, hat sich das Pflegeteam darauf verständigt, die Lage des Bewohners regelmäßig zu verändern, um eine Druckentlastung zu gewährleisten. Trotz aller ergriffenen Maßnahmen hat sich ein Druckgeschwür entwickelt. Das Pflegepersonal hat die Lagerungswechsel nicht ausreichend dokumentiert, obwohl diese stattgefunden haben. Der Kostenträger macht eine Mitschuld der Einrichtung geltend, die in diesem Fall, aufgrund der nicht stattgefundenen Dokumentation, nicht widerlegt werden kann. Die Einrichtung muss einen Teil der Behandlungskosten zahlen.
Aus Angst vor solchen Situation besteht aber auch die Gefahr der Überdokumentation. Nicht selten wird von Seiten der Einrichtungsleitung dazu angehalten, jede ‚Kleinigkeit‘ zu dokumentieren, um entsprechende Nachweise zu generieren. Zur Lösung dieses Problems sollten klare Regeln für die Erhebung von Daten, für das Verfassen der Pflegeplanung und für die Dokumentation der Pflegeberichte aufgestellt werden. Es empfiehlt sich für diesen Bereich, im Rahmen des Qualitätsmanagements ein eigenes Verfahren inklusive Checklisten zu beschreiben.
Red.: Wie überzeugt die PDL die MitarbeiterInnen von Anfang an, höchste Sorgfalt bei Planung und Dokumentation walten zu lassen?
M.H.: Wichtig ist hierbei das System der Einrichtung. Gibt es Regeln zur Dokumentation? Gibt es klare Aufgabenbereiche und Ressourcen zur Dokumentation? Wenn die PDL und die Mitarbeiter sorgfältig dokumentieren, ist der Lerneffekt für neue Mitarbeiter am größten. Außerdem sollten individuelle Dokumentationsschwachstellen bei einzelnen Mitarbeitern erkannt und ggf. geschult werden. Wenn die Mitarbeiter wissen, worauf es ankommt ist die Pflegedokumentation gut in den Pflegealltag zu integrieren. Denn eines ist klar, die Dokumetationsarbeit einer Pflegekraft sollte nicht über der Patientenversorgung stehen, sondern als ergänzender und notwendiger Teilbereich verstanden werden.
Red.: Wie geht die PDL mit Lücken in der Informationssammlung am besten um?
M.H.: Es gibt immer wieder Situationen, die eine komplette Datensammlung einzelner Kunden nicht erlauben. Entweder, weil keiner die entsprechenden Informationen geben kann oder aber, weil sich die involvierten Personen aus persönlichen Gründen nicht äußern wollen. Generell sollte niemand, gerade bei ersten Anamnesegesprächen, zu Aussagen genötigt werden. Gibt ein Bewohner bzw. Angehöriger keine kompletten Informationen preis, sollte man darauf hinweisen, wozu diese benötigt werden, wer sie erhält und aus welchen Gründen es schwierig ist, kein umfassendes Bild zu erhalten. Sollten weiterhin Informationen zurückgehalten werden, ist dies von Einrichtungsseite zu akzeptieren. Oft gibt es nach einer Eingewöhnungsphase doch noch die Möglichkeit, Informationen für die Anamnese zu bekommen und sie in die individuelle Pflegegestaltung mit einfließen zu lassen.
Red.: Können Sie den Lesern zusammenfassend die fünf wichtigsten Tipps für eine übersichtliche Pflegedokumentation mit auf den Weg geben?
M.H.: Gerne.
1. Klare Regeln für die Art und Weise der Dokumentation. Wichtig ist ein einheitliches System innerhalb einer Einrichtung. Am besten schriftlich als beschriebenes Verfahren. Vorteil: Bei der Einarbeitung neuer Mitarbeiter ein dienliches Instrument.
2. Klare Zuständigkeiten innerhalb des Pflegeteams. Wer ist für welche Art von Dokumentation zuständig? Wer schreibt die Pflegeberichte, wer macht die Planungen, wer führt ein Biografiegespräch usw.
3. Kurz, aber aussagekräftige Dokumentationsinhalte. Oft werden z.B. Erzählungen über den Spielnachmittag eines Bewohners ausgeschmückt, aber die Relevanz der Bewegungsverbesserung findet keine Berücksichtigung.
4. Überprüfung der genutzten Dokumente. Viele von ihnen sind veraltet oder richten sich nicht nach pflegerischen Expertenstandards. Ein gutes System erlaubt außerdem, zu jedem Zeitpunkt Inhalte zusammenzufassen und ergänzen zu können.
5. Feste Zeitkontingente zur Dokumentation beschreiben. Eine gute Pflegedokumentation braucht Zeit und Übung. Pflegende brauchen eine definierte Zeitressource, um diese Tätigkeit auszuüben. Die Einrichtung sollte diese Zeiten transparent gestalten und ermöglichen. Werden für die Pflegedokumentation keine entsprechenden Zeitressourcen zur Verfügung gestellt, wird zwangsläufig die Qualität der Dokumentation darunter leiden.
Red.: Herr Hartmann, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Peter Laaks.